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Institut für Philosophie

DFG-Projekt: Selbsttäuschung als Form rationaler Selbstverfehlung. Historisch-phänomenologische Untersuchung eines intersubjektiv bedingten Phänomens

DFG Projekt (Nr. 566470908)

Was ist Selbsttäuschung? Ist sie eine Art von Lüge, ein Belügen unserer selbst? Ist Selbsttäuschung eine zu vermeidende Verfehlung oder ein wesentlicher Bestandteil unseres Lebens? Wodurch wird Selbsttäuschung bedingt und motiviert, in welcher Weise kommt sie zustande, durch welche sozialen und psychologischen Umstände wird sie gefördert, welche Funktion erfüllt sie im Leben?

Selbsttäuschung, so die tragende These des Forschungsvorhabens, ist ein intersubjektiv bedingtes Phänomen. Es soll daher in seinen vielfältigen Gestalten und Aspekten untersucht, gleichsam prismatisch gebrochen, beschrieben und expliziert werden. Selbsttäuschung ist danach nur möglich, weil wir uns auf Andere hin entwerfen und uns zu ihren Ansprüchen und Erwartungen sowie zu ihren und unseren möglichen Enttäuschungen verhalten müssen.

Im Kontrast zur gegenwärtig dominierenden epistemologischen Debatte soll die heutige Forschung daraufhin untersucht werden, inwieweit sie dazu schon Elemente bereitstellt. Thematisiert wird nicht die Möglichkeit einer Täuschungsabsicht im Selbstverhältnis, sondern die situationalen, intersubjektiv bedingten Motivlagen, die Selbsttäuschungsprozessen zugrunde liegt. Davon ausgehend sollen nicht neutrale Subjekte, sondern konkrete Personen und Vorgänge ins Zentrum der Untersuchung rücken, sodass bis dato unterbelichtete oder gar unterschlagene Forschungsaspekte berücksichtigt werden können. Dazu gehören die leiblich-affektiven Dimensionen von Selbsttäuschungsprozessen wie auch geschlechtsbezogene, kulturell bedingte Faktoren, die zur Diversifizierung der Selbsttäuschungsdynamiken beitragen. Bei Selbsttäuschung, so die Grundüberzeugung, handelt es sich nicht immer um eine Privation oder ein Defizit; es ist vielmehr zu fragen, ob der Selbsttäuschung eine prudentielle oder pragmatische Rationalität innewohnt, die lebensweltlich motiviert ist.

Vor diesem Hintergrund untersucht das Forschungsprojekt die Selbsttäuschung begriffshistorisch und phänomenologisch, und löst damit jeweils ein Forschungsdesiderat ein: zum einen eine übergreifende Rekonstruktion, die entscheidende Aspekte moderner Selbsttäuschungsbegriffe thematisiert; zum anderen – und daran anschließend – eine phänomenologische Beschreibung und Explikation von Selbsttäuschungsmodi im Hinblick auf ihre situationalen, intersubjektiven Bedingungen.